Der surfende Buddha
Autor
unbekannt
Mir
viel eine Gestalt auf, die scheinbar mühelos auf meinem Surfbrett stand.
Das Surfbrett flog nur so auf den Wellenkämmen.
Der Surfer war groß,
rundlich und braungebrannt. Er hatte ein strahlendes Lächeln, das mir
irgendwie vertraut war. Etwa so wie die Buddhas in den Chinarestaurants.
Auf dem Rücken trug er einen wasserdichten Rucksack mit der Aufschrift "Nirwana Jetpack".
Ich schwebte langsam näher. Im
Wasser war Bewegung. Zunächst glaubte ich an Haie. Bei näherem Hinsehen
waren es Menschen, die sich verzweifelt bemühten, nicht unterzugehen.
Schiffbrüchige? Eine Flugzeugkatastrophe? Jeder dieser Verzweifelten war
damit beschäftigt, seinen Kopf über Wasser zu halten. Teilweise hielten
sie sich an mehr oder weniger großen Holzplanken fest.
Regelmäßig schlug eine Welle
über ihren Köpfen zusammen. Sekunden, ja minutenlang konnten sie nicht
atmen. Manche ertranken, andere tauchten prustend wieder auf, um sich bis
zur nächsten Welle in Sicherheit zu wiegen. Während ich die Menschen im
Wasser beobachtete, spielten sich unglaubliche Szenen ab. Jeder versuchte
so viele der herumtreibenden Planken wie nur möglich zusammenzuraffen,
aber die kommenden Wellen zerstörten immer wieder diese mühsam aufgebauten
Inseln.
Woher kamen diese merkwürdigen
Planken? Ich sah sie mir näher an und stellte fest, dass sie alle mit
einer feinen, fast unsichtbaren Schrift beschrieben waren. Auf manchen
stand Geld, Partnerschaft, Besitz. Auf den anderen Macht, Einfluss und
Freiheit. Einige der Planken waren etwas größer und seltener. Auf ihnen
standen Worte wie Religion, Schuld, Sühne, Erleuchtung, Karma.
Mein Blick richtete sich wieder
auf den Surfer. Er surfte gelassen durch diesen Tumult und beobachtete
aufmerksam das Geschehen. Immer wenn einer der Treibenden seine Planke
kurzzeitig losließ, war der Buddha zur Stelle. Mir war es, als ob er einem
Moment bei dem Betreffenden verharren würde, bevor er weiterfuhr. Ich
schaute den Buddha an und er schaute freundlich zurück.
"Hast du eine Frage?" fragte er
ruhig.
"Ja! Warum lässt du die Leute weiter im Wasser treiben? Warum
nimmst du nicht einfach eines der Opfer an Bord und zeigst ihm, wie das
surfen funktioniert?"
Mild lächelnd antwortete er:
"Manchmal biete ich
den Menschen an, auf dem Surfboard mitzufahren. Die
meisten lehnen ab. Sie wollen lieber weiter an ihren Flößen bauen. Die
fast einhellige Antwort beginnt mit den Worten 'Eigentlich würde ich ja
schon gerne, aber......' Irgendwie scheinen sie sich mit ihren Planken
sicherer zu fühlen."
Der Buddha sah mich kurz an,
lächelte und griff ins Wasser. Sofort hatte er einen der Vorbeitreibenden
ergriffen und zog ihn an Bord. Der klammerte sich an die Beine des
Buddhas. Er zitterte vor Angst.
"Hab keine Angst" sagte der Buddha.
Das
schien nicht viel zu helfen. Ab und zu öffnete der Passagier seine
zugekniffenen Augen und schloss sie sofort wieder. Ständig murmelte er das Mantra
"Ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht...".
Als das Surfboard bei der nächsten Welle Fahrt aufholte, stürzte sich der
Passagier voller Panik ins Meer und rief: "Ich muss.....!". Der Rest seines
Schlachtrufes verschluckte das über ihm zusammenbrechende Wasser.
"Das
erlebe ich jedes Mal" seufzte der Buddha. Aber dann lachte er wieder.
"Aber manchmal habe ich Glück. Wie diesmal".
Er fischte wieder einen
Losgelassenen aus dem Wasser. Dieser schaute den Buddha mit großen Augen
an.
"Was willst du?"
fragte der Buddha.
Zögernd antwortete der
Passagier. "Seit einiger Zeit treibe ich schon im Meer und beobachte,
wie du scheinbar mühelos und elegant an uns vorbeirauschst. Du hast keine
Angst vor der großen Welle. Im Gegenteil, du reitest auf
ihr. Ich hörte ein Gerücht, dass jeder dazu in der Lage ist, aber keiner von
meinen Mitschwimmern wusste etwas Genaues. Alle waren zu sehr damit
beschäftigt, sich
festzuhalten.
Irgendwann erzählte ein vorbei
treibender Geschichtenerzähler, dass diese Kunst mit dem Loslassen der
Planken anfängt. Er selber könne es nicht tun, weil er zu beschäftigt sei
und sich um seine Familie sorgen müsste. Aber dem Freund eines Freundes
soll der Buddha einmal erzählt haben, dass es mit dem Loslassen zu tun
habe. Natürlich wurde der Geschichtenerzähler verlacht. Wenn es wirklich
so einfach ist, warum macht er es dann nicht selbst?"
Mir ging diese Geschichte nicht
mehr aus dem Kopf. Und so habe ich begonnen, meine Mitschwimmer zu
beobachten. Manche Köpfe waren fast ständig unter Wasser und tauchten
gelegentlich auf, um Luft zu schnappen und prustend wieder unterzugehen.
Andere schafften es, ihren Kopf ständig über Wasser zu halten. Das Geheimnis war ihr tiefer
Atem. Je tiefer und intensiver sie ein- und ausatmen, desto besser
schweben sie über dem Wasser. Das habe ich dann selber ausprobiert. Nach
einiger Zeit war ich sicher, dass ich die Planken nicht mehr brauche. Ich
ließ eine nach der anderen los. Als ich die letzte Planke in der Hand
hielt, packte mich die Panik. In diesem Moment hast du mich aus dem Wasser
gefischt.
Der Buddha wiegte mit dem Kopf
und sah mich an. Wieder erfasste mich der Wirbel und plötzlich war ich
selbst der Gast, den der Buddha gerade herausgefischt hat. Er fing an, mir
die Geheimnisse des Surfens zu offenbaren.
"Es
geht um Gleichgewicht. Du darfst nicht zu weit vorne und nicht zu weit
hinten stehen".
Ich schaute ihn ratlos an.
"Immer wenn du dich zu weit nach vorne legst, kreisen deine Gedanken um
die Zukunft. Was alles passieren könnte, gegen welche Unglücke du bestehen
musst, welche Gefahren auf dich lauern."
Eine
kurze Brise streifte unsere Haut und kündigte eine neue Welle an.
"Immer wenn du dich zu weit nach hinten legst, denkst du an die
Vergangenheit, was du alles hättest besser machen können, welches Leiden
du bereits hinter dir hast, welche Investitionen dich daran hindern, etwas
anders zu machen."
Das Surfbrett hob sich langsam.
"Nur das Hier und jetzt entscheidet. Lass es uns versuchen".
Eine
Welle packte das Surfboard und es nahm Fahrt auf. Der Buddha bewegte sich
nur minimal. Mal ein bisschen vor, dann ein bisschen zurück. Zwischen der
Bewegung der Welle und denen des Buddhas schien absolute Harmonie zu
herrschen. Jedes Mal, wenn ich dachte "Jetzt muss er nach vorne." hatte er
es bereits getan. Es schien, als könne er vorausahnen, wie die nächste
Bewegung der Welle sein würde.
Darauf angesprochen lachte er
nur. "Mit
dem Verstand ist das nicht zu machen. Der ist zu langsam. Wenn du jedoch
das quäkende Radio deines Verstandes abstellst, wird deine Intuition
stärker. Und
wenn du ganz im Hier und Jetzt bist, gibt es keinen Unterschied zwischen
dir und der Welle".
Durch eine kurze Bewegung
wendete er das Surfbrett in eine andere Richtung.
„Jeder Gedanke bringt dich aus dem Gleichgewicht.“
Ich erinnerte mich, so etwas in
den alten Werken der japanischen Samurai gelesen zu haben. Auch in den
taoistischen Schriften war immer von einem absichtlosen Tun die Rede.
"Ja-ja"
sagte der Buddha und sah mich an, als hätte er meine Gedanken gelesen.
"Du bist auf der richtigen
Spur. Aber grau ist alle Theorie, probier es selber."
Ich stellte mich vorne auf das
Brett und versuchte das Gleichgewicht zu halten. In meinem Kopf
ratterten die Gedanken
"Jetzt vor, zurück, pass auf, jetzt runter, dann
rauf.....".
Ich sah aus den
Augenwinkeln, wie der Buddha sich hinter mir bemühte, das Gleichgewicht
für uns beide zu halten.
Dennoch war es eine ruckelige Angelegenheit. Mit der Zeit bekam ich jedoch
ein Gefühl dafür. Ich
wurde ruhiger und konnte sogar zeitweise die Aussicht genießen. Und je
weniger ich mich anstrengte, desto glatter lief die Fahrt.
Irgendwann überraschte ich mich
dabei, wie ich mühelos, ohne einen Gedanken mit dem Surfbrett schwebte.
"Jetzt ist es soweit", sagte der Buddha und holte aus seinem Rucksack ein
faltbares Surfbrett heraus, das meinen Namen trug.
"Hier, nimm dein
Surfbrett und fahr über das Lebensmeer. Alles was du brauchst, hast du
bereits in dir. Alles was du wissen musst, weißt du bereits. Solltest du
dich einmal an etwas nicht erinnern können, dann komm zurück und wir
unterhalten uns".
Epilog
Ich
bin mit meinem Surfbrett oft ins Wasser gefallen. Und oft war ich
versucht, die ganze Sache einfach sein zu lassen und mich wieder an meinen
Planken festzuklammern. Aber die Erinnerung an das Gleiten, die
Leichtigkeit und das Glücksgefühl, das ich erlebt habe, brachten mich
immer öfter dazu, alles loszulassen, mein Surfboard auszupacken und zu
gleiten. Mit der Zeit wurde ich besser. Ich lernte, dass die Welle, das
Chaos mein Freund ist. Sie transportierte mich wohin ich wollte.
Ich sah unbekannte Gegenden und
erlebte unglaubliche Abenteuer. Je sicherer ich wurde, desto mehr
bedauerte ich die Menschen, die im Lebensmeer herumpaddeln und gegen die
Welle kämpfen, die mich trägt. Ich hatte Mitgefühl. So habe ich begonnen,
ab und zu jemanden zu mir auf das Surfboard zu ziehen. Am Anfang haben
mich die Passagiere mit ins Wasser gezogen und ich brauchte eine Weile, um
wieder auf mein Brett zu steigen. Mit der Zeit wurde ich geübter. Ich
lernte viel über mich, über Gleichgewicht, über Ego, darüber wie diese
Welt funktioniert. Ich gab weiter, was ich gelernt hatte und lernte dabei
noch mehr hinzu. Eines Tages baute sich vor mir die größte Welle auf, die
ich je gesehen habe. Sie stand wie eine Mauer vor mir. Die
Wasseroberfläche war absolut glatt, so dass ich mich darin spiegelte. In
diesem Spiegel sah ich den Buddha auf dem Surfboard. Und hörte sein
lachen. Es war das Lachen des Buddhas.
Es
war mein eigenes Lachen.
|